Ziele in der Sozialerziehung
Unter dem Begriff „Sozialverhalten“ versteht man Handlungen im Umgang mit anderen Menschen, einzeln oder Gruppen. Die Entwicklung eines situationsgerechten Sozialverhaltens ist schon immer ein wichtiges Thema in der Kindererziehung. Dies hängt heute vordringlich mit einer sich verändernden Umwelt und Gesellschaft zusammen und auch mit steigenden Erwartungen und Anforderungen an Heranwachsende.
Im Mittelpunkt dieses Trainings stehen die Bedürfnisse und Entwicklungschancen von Kindern im Alter von etwa 8 bis 14 Jahren im Bezug auf ihre sozial-emotionale Entwicklung. Die konkreten Zielsetzungen in der Sozialerziehung lassen sich in sechs Bereiche unterteilen:

Abb.: Nach den vielfachen Versuchen in der pädagogisch-psychologischen Fachliteratur (PETERMANN/ PETERMANN, KORTE, BÖNSCH, etc.), solche Ziele zu systematisieren und zu beschreiben, haben wir ein eigenes Schema entwickelt.
Inhaltlicher Fokus wird auf sich selbst, den anderen und das Miteinander gesetzt.
Wahrnehmung

Um ein gesundes Selbstvertrauen aufbauen zu können müssen sich Kinder ihrer Person ganz bewusst sein. Indem sie über ihre Empfindungen sprechen, lernen sie sich wertzuschätzen. Kinder, die Vertrauen in ihre Fähigkeiten haben, wissen was sie wollen und werden ihre Meinung weniger von anderen abhängig machen. Die erworbene Selbstsicherheit drückt sich unter anderem auch in der Körpersprache aus. Optimistisch eingestellte Kinder gehen nicht nur offener auf andere zu und lachen gerne; sie zeigen auch in ihrer ganzen Haltung, dass sie neugierig und erwartungsvoll auf den Kontakt mit ihrer Umwelt sind. Scheue und ängstliche Kinder blicken dagegen häufig auf den Boden, ziehen die Schultern nach vorn und machen sich insgesamt kleiner als sie sind, als wollten sie sagen: „Eigentlich bin ich nicht da“.
Es kann lohnenswert sein, nicht nur zum Kämmen in den Spiegel zu schauen, sondern sich mal etwas länger mit sich selbst zu beschäftigen: Wie sehe ich aus? Wer bin ich? Wie nehmen mich andere wahr? In der Hektik dieser Welt blicken wir zuviel nach außen und zu wenig nach innen. Die Fähigkeit der Selbstwahrnehmung besteht darin, die eigenen Emotionen, Ziele und Werte zu verstehen. Dies beinhaltet eine genaue Einschätzung der eigenen Stärken und Schwächen, positive Einstellungen zu sich, Selbstwirksamkeit und Optimismus. Schreiben Sie sich ruhig einmal auf, was Sie können, worin sind Sie gut? Und was können Sie gar nicht? Es geht also darum zu versuchen, sich in Hinblick auf eigene Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen möglichst objektiv zu betrachten – und das ist schwerer als man glaubt, denn wir sehe uns immer aus einer höchst subjektiven Perspektive. Die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung ist die Basis, um Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und Veränderungen in der Persönlichkeit bewusst herbeizuführen. Eine positive Selbstwahrnehmung trägt zu einem besseren Selbstwertgefühl bei. Je besser Sie sich selbst kennen, um so besser können Sie sich auch auf Ihr Kind einlassen. Wer sich selbst kennt, vermag seine Reaktionen vorauszuahnen, zu steuern und dann auch in kritischen Situationen ruhig bleiben.
Austausch

„Ich sehe was, was du nicht siehst!“. Dieses Spiel spielen gerne Kinder, um Langweile zu vertreiben. Einem Erwachsenen, der dieses Spiel beobachtet, wird bewusst, wie sehr alles im Auge des Betrachters liegt. Denselben Farbton kann der eine als schön, der andere als hässlich empfinden, ein modernes Kunstwerk kann den einen Betrachter zur euphorischen Ekstase bringen der andere geht mit einem kurzen Blick einfach vorbei. Ein Geräusch in einer gewöhnlichen Lautstärke können manche als ein Schrei empfinden. Den Perspektivwechsel aus diesem bekannten Spiel kann man durchaus auch auf die Interaktion zwischen Menschen übertragen. Wenn ein Mensch mit seinen eigenen Bedürfnissen, Sichtweisen und Verhaltensweisen auf einen anderen Menschen trifft, setzt er erst voraus, dass der andere Mensch genauso „tickt“. Er betrachtet Dinge aus seiner eigenen Perspektive heraus und kann nicht verstehen, warum der andere anstatt eines Kunstwerks nur Gekritzel sieht. Die logischen Konsequenzen daraus sind häufig Missverständnisse und Konflikte.
Viel zu selten nehmen wir die gedankliche Position anderer ein. Leichter ist es zu meckern und sich zu beschweren und dem anderen die Schuld zuzuschieben. Um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und diesen Kontakt aufrechtzuerhalten, muss man sich für die anderen Sichtweisen öffnen. Es geht im Einzelnen darum, die Absichten eines anderen Menschen erkennen zu können, seine Gefühle deuten zu können, um zu merken, ob er gut oder schlecht gelaunt ist, seine Ironie erkennen zu können um zu wissen, wann er es nicht ernst meint.
Akzeptanz

Der achtjährige Klaus erzählt zu Hause: „Wir haben heute einen neuen Schüler in der Klasse. Der ist ja total fett, sowas kannst du dir gar nicht vorstellen; er wird von allen nur ‚Schweinchen Dick‘ genannt!“ Passt Ihrem Kind das Aussehen eines Mitschülers nicht? Haben Sie ein Problem damit, wenn Ihr Kind eine völlig andere Meinung äußert als Sie? Können Sie es nicht gut ertragen, wenn Ihnen jemand widerspricht oder sich anders verhält, als Sie es erwarten? Dann sind Sie vielleicht nicht besonders tolerant? Toleranz bedeutet, dass man auch anderes Aussehen und andere Meinungen, Anschauungen oder Haltungen neben seinen eigenen gelten lässt. Der achtsame Umgang mit Emotionen und Bedürfnissen anderer Menschen, aber auch mit eigenen Gefühlen und Motiven sind die Grundlage für das Leben in der Gesellschaft.
Toleranz lässt sich nicht immer durchhalten; man muss manchmal dazu stehen, dass es auch Menschen gibt, die wir nicht mögen. Manche Leute gehen uns richtig auf die Nerven, manchmal einfach nur alleine durch ihre Art, also dadurch, dass sie so sind, wie sie eben sind. Zum Beispiel, ein griesgrämiger Nachbar, dem wir zwangsläufig begegnen oder ein cholerischer Vorgesetzter, den wir regelmäßig sehen müssen. Wie sollen wir mit ihnen umgehen? Wir können diese Menschen natürlich spüren lassen, dass wir sie nicht mögen. Im Extremfall sind wir sogar respektlos. Aber die meisten von uns versuchen, im direkten Kontakt trotzdem höflich zu sein, auch wenn uns jemand unangenehm aufregt. Manchmal ändert sich die Meinung über eine Person, wenn wir diesen Menschen näher kennen lernen; wir alle sind irgendwo „Sklaven“ unserer eigenen Vergangenheit und wenn jemand eine miserable Lebensgeschichte hinter sich hat, ist es vielleicht verständlich, dass diese Person so regulatorisch geworden ist und alle anderen nur anzickt (manchmal aber auch nicht; man muss nicht für alles und jeden immer nur Verständnis haben).
Soziales Handeln

Soziales Handeln heißt, dass wir eigene Verhaltensweisen auf die Handlungen anderer abstimmen. Jede Handlung ist letztlich auch eine Kommunikation; jemandem etwas klauen oder schenken hat auch eine soziale Bedeutung. Nicht nur wir selbst handeln sinnhaft, wir unterstellen auch anderen Personen, dass sie mit ihrem Handeln etwas Bestimmtes meinen.
Soziales Handeln ist dummerweise nicht nur von altruistischem Helfen geprägt, oft muss man eine andere Person auch kritisieren; z.B. kann man ein Kind für eine schlechte Note in der Schule nicht loben. Vielleicht muss man es trösten, dann ist Kritik vielleicht gar nicht nötig, dass das Kind sich selbst kritisiert. Die Frage ist, wie man kritisiert; in der sogenannten „Sandwich-Technik“ verstaut man die Hinweise auf Fehler zwischen zwei positiven Anmerkungen. Konstruktive Kritik kann wichtig sein, da oft nur damit auf Fehler hingewiesen werden kann und die Person die Möglichkeit hat, es künftig besser zu machen. Konstruktive Kritik kann z.B. einem Kind helfen, dass seine Zeichnungen besser werden. Kritik zu üben ist genauso wichtig, wie auch Kritik annehmen zu können. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, jemanden etwas so zu sagen, dass er sich nicht vor dem Kopf gestoßen fühlt und es ihm leichter fällt, Kritik als gutgemeinte Rückmeldung anzunehmen.
Neben Kritikfähigkeit ist Überzeugungskraft eine der wichtigsten Fähigkeiten im Bereich des sozialen Handelns, die man lernen kann. Die Fähigkeit, überzeugend zu sein und andere beeinflussen zu können kann ein Instrument sein, um Ziele zu erreichen und glücklich zu sein. Überzeugend wirkt automatisch jemand, der förmlich ausstrahlt, von seinen eigenen Ideen begeistert zu sein. Wenn man ein Kind überzeugen will, z.B. das Schwimmen zu lernen, nützt es wenig, wenn der Elternteil selbst Missmut vor dem kühlen Wasser ausstrahlt.
Umgang mit Schwierigkeiten

Regt sich ihr Kind auf, wenn andere einen Fehler machen? Wird es ungeduldig oder wütend, wenn etwas anders läuft, als es das gerne hätte? Soziale kompetente Menschen verfügen über Fähigkeiten, das eigene Verhalten von einer individuellen auf eine gemeinschaftliche Handelsorientierung hin auszurichten. Sozial kompetentes Verhalten verknüpft die individuellen Handlungsziele von Personen mit den Einstellungen und Werten einer Gruppe. Pubertierende Revolutionäre in der Familie kann man mitunter zur Ruhe bringen, wenn man ihnen klar macht, dass alle im selben Boot sitzen. Wenn einer in die andere Richtung rudert, dann wird das Boot nicht vorankommen oder im schlimmsten Fall sogar kentern.
Wo Menschen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen zusammenleben oder zusammenarbeiten, kommt immer wieder zu gegensätzlichen Vorstellungen. Aus diesen Verschiedenheiten ergeben sich häufig Konfliktsituationen, die zu den häufigsten Stressauslöser zählen. Von entscheidender Bedeutung ist, darüber nachzudenken, wie diese entstehen, aber auch gemanagt, bearbeitet und gelöst werden können. Indem man Konflikte erkennt, deren Dynamik versteht und sie professionell und zielorientiert löst, wird man erfolgreicher in der Zusammenarbeit mit anderen. Der Begriff „Coping“ bezeichnet Strategien im Umgang mit Stress. Hier werden grob zwei Formen unterschieden. Das (1) problemorientierte Coping bemüht sich darum, Strategien zu entwickeln, um das stressauslösende Problem zu beseitigen; etwa indem man seine Handlungen verändert, mit dem Konfliktpartner redet, Informationen sucht oder sich um Hilfen bemüht. Mit dem (2) emotionsorientierten Coping dagegen bemüht man sich, mit seinen Gefühlen besser umzugehen. Zum Stress gehören immer zwei: Einer der stresst und einer der sich stressen lässt. Muss man sich wirklich aufregen? Oft hilft es hier, soziale Unterstützung zu suchen und mit anderen zu reden.
Entwicklung von Einstellungen und Werthaltungen

Freundlichkeit, Mitgefühl, Perfektion, Bescheidenheit, Treue oder Genauigkeit. Werte geben sowohl Orientierung als auch Halt und Überzeugung. Normen und Werte sind eine unverzichtbare Grundlage sozialen Zusammenlebens und der gesellschaftlichen Ordnung. Bildung schließt die Auseinandersetzung mit Werten ein. Sie hat den jungen Menschen dabei zu unterstützen, selbständig denken und gründlich urteilen zu lernen – gerade in den Sinnfragen des Lebens.
Solche Werte sind uns nicht in die Wiege gelegt, Kinder müssen sie lernen. Allerdings gibt es mit den sogenannten „Spiegelneuronen“ im Frontallappen des Gehirns eine wichtige Voraussetzung dafür. Diese Spiegelneurone helfen uns, sich in die Situation des anderen hinein zu versetzen, sich so zu fühlen wie der andere, den man gerade beobachtet. Durch Beobachtung lernt man, wie man sich in dieser Welt verhalten sollte. Eltern haben dabei die wichtigste Vorbildfunktion, da sich das Gehirn in den ersten Lebensjahren am stärksten verkabelt. Beobachten Kinder Eltern, die sich ständig streiten, dann wird das zur Norm für das Kind. Es ist später schwierig, aus diesem erlernten Verhalten auszubrechen. Beobachtet der Nachwuchs aber, dass Mutter und Vater achtsam und liebevoll miteinander umgehen, so wird dieses Verhalten zu einem inneren Wert. Das hier vorliegende Buch will mit einer Vielzahl von Aufgaben dabei helfen, dass Kinder innere Werte entwickeln, wie man sich in dieser komplizierten Gemeinschaft menschlicher Wesen am klügsten verhalten kann, um einigermaßen konfliktlos die Unebenheiten dieses Lebens zu meistern.